
Kulturbetrieb ist Personenkult: Ständig drängen echte oder vermeintliche Stars ins Rampenlicht. Die Medien feiern sie mit einem glamourösen Porträt nach dem anderen; emsig werden ihre Talente und Geniestreiche, ihr Seelenleben und Ticks ausgebreitet. Was stets mit aktuellen und kommenden Produkten endet: Jetzt gleich bestellen oder reservieren!
Info
Kathedralen der Kultur (3D)
Regie: Wim Wenders, Michael Glawogger, Michael Madsen, Robert Redford, Margreth Olin, Karim Ainouz;
156 Min., Deutschland/ Dänemark/ Österreich/ Norwegen 2013
Wie funktionieren Illusionsmaschinen?
Insofern ist Wim Wenders‘ Idee, ihnen einen Dokumentarfilm zu widmen, ausgezeichnet. Viele dürften sich bei einer Inszenierung mit Scharen von Statisten auf der Bühne schon einmal gefragt haben, wie die Illusionsmaschine Theater eigentlich funktioniert – oder beim Stöbern in einer Großbibliothek, wie deren Mitarbeiter bei Millionen von Bänden den Überblick behalten.
Offizieller Filmtrailer
Willkürlich eurozentrische Auswahl
Darüber erfährt man in „Kathedralen der Kultur“ praktisch nichts. Wenders und seine fünf Co-Regisseure, die je einen Episodenfilm gedreht haben, nehmen die Metapher von der Kathedrale wörtlich: Sie nähern sich den sechs porträtierten Einrichtungen so andächtig wie Bischofskirchen. In denen soll man auch nur bewundern und glauben, aber nicht fragen oder gar zweifeln.
Deshalb wird auch nichts erklärt. Weder die willkürliche Auswahl: eine Philharmonie, Oper, Bibliothek und ein Kulturzentrum – aber kein Museum, Theater, keine Hochschule oder Galerie kommen vor; stattdessen ein Forschungs-Institut und Gefängnis! Noch die eurozentrische Perspektive: je einmal Deutschland, Frankreich, Russland, zwei Mal Norwegen und einmal Kalifornien. Als hätten Süd- und Osteuropa sowie vier komplette Kontinente keine Einrichtungen von Weltrang zu bieten.
Star-Kult der sprechenden Gemäuer
Am stärksten befremdet aber die Bizarrerie, die Kulturtempel selbst „sprechen“ zu lassen. Aus ihrer „subjektiven“ Sicht ist der Kommentar fast aller Episoden verfasst; sie reden den Zuschauer direkt an. Ein Spleen des Initiators: Seit „Der Himmel über Berlin“ (1987) lässt Wenders in seinen Filmen gern übersinnliche Erscheinungen herumgeistern. Hier überträgt er den leidigen Star-Kult auf Gemäuer: Sie salbadern im Off wie sonst nur Idole aus Fleisch und Blut.
Ansonsten gab es zwischen den sechs beteiligten Regisseuren offenbar keine Abstimmung; ihre Beiträge verbindet nichts. Wenders reduziert die Berliner Philharmonie auf zwei Personen: Architekt Hans Scharoun, den er aus dem Jenseits herbeizitiert, und Chef-Dirigent Sir Simon Rattle, den er voller Hingabe begleitet.
Vorzeige-Knast als Hochkultur-Monument
Der im April verstorbene Michael Glawogger wärmt in der verrotteten Russischen Nationalbibliothek von Sankt Petersburg modrige Klischees über die „slawische Seele“ auf: Verhärmte Archiv-Mäuse schwadronieren über ihre Lektüre, derweil fährt die Kamera überquellende Buchregale entlang. Der Däne Michael Madsen kann in einem norwegischen Vorzeige-Knast nicht plausibel machen, warum er Waschbeton-Wände und Beschäftigungs-Programme für Monumente der Hochkultur hält.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung der Ausstellung "Kultur:Stadt" über wegweisende Kulturbauten weltweit in Berlin und Graz
und hier einen Bericht über die “Architektur-Biennale 2012“ in den Giardini + Arsenale, Venedig
und hier eine Besprechung der Ausstellung “Tat Ort Museum” über Aufgaben + Arbeit eines Museums zum 150. Jahrestag im Wallraf-Richartz-Museum, Köln.
Nichts ist erregender als Wirklichkeit
Wohltuend nüchtern nähert sich dagegen Margreth Olin der 2008 eingeweihten Oper von Oslo. Wie ein modernes Musiktheater arbeitet, bleibt zwar unklar – doch wenigstens beherzigt Olin, dass Film aus bewegten Bildern besteht: Aufnahmen von Garderoben, Tanz-Proben und Aufführungen bringen ein wenig Schwung in diesen schwerfällig statischen Bilderbogen.
Der einzige ergiebige Beitrag ist von Karim Aïnouz. Er beobachtet einen normalen Tag im Pariser Centre Pompidou. Das ist aufregend genug: von morgendlichen Vorbereitungen, bis die Massen hereinströmen, über das Getriebe in einzelnen Abteilungen bis zu emsigen Helfern im Hintergrund. Diese unspektakulären, aber klug komponierten Sequenzen bieten erhellende Blicke hinter die Kulissen. Aïnouz bestätigt das alte Diktum von Egon Erwin Kisch: Nichts ist erregender als die Wirklichkeit.
Sujet sinnlos verschenkt
Wenn man sie einzufangen versteht; den fünf anderen Episoden gelingt das kaum. Ihre beliebige bis abschreckende Auswahl und Machart dürfte den Kathedralen der Kultur keine neuen Anhänger bescheren: Ein spannendes Sujet wird in zweieinhalb quälenden Stunden sinnlos verschenkt.