Anke Engelke + Florian David Fitz

Eingeschlossene Gesellschaft

Countdown im Lehrerzimmer: Alle Kollegen bestürmen Latein-Lehrer Klaus Engelhardt (Justus von Dohnànyi, mi.), er möge seine Note heraufsetzen. Foto: © 2022 BantryBay Prod./ Deutsche Columbia Pictures /Degeto Film
(Kinostart: 14.4.) Von Molière und Sartre lernen: Ein Vater will bessere Noten für seinen Sohn erzwingen – das wird für die Lehrer zur Schulstunde der Wahrheit. Gelungene Gymnasial-Komödie von Regisseur Sönke Wortmann, die Doppelmoral mit präzisem Timing und treffsicheren Pointen demaskiert.

Komödien-Routinier Sönke Wortmann entwickelt sich zum Spezialisten für Satiren aufs Bildungswesen. In „Frau Müller muss weg!“ (2015) nahm er überehrgeizige und -griffige Eltern aufs Korn, die eine unliebsame Lehrerin loswerden wollten. Mit „Contra“ spießte er im vergangenen Jahr Statusdünkel im akademischen Betrieb auf. Nun bekommen im Kammerspiel „Eingeschlossene Gesellschaft“ die Gymnasial-Lehrer ihr Fett weg.

 

Info

 

Eingeschlossene Gesellschaft

 

Regie: Sönke Wortmann,

101 Min., Deutschland 2021;

mit: Florian David Fitz, Anke Engelke, Thorsten Merten

 

Weitere Informationen zum Film

 

Wie schon bei „Frau Müller“ bleibt der Film die meiste Zeit in einem einzigen Raum: einem Lehrerzimmer am Freitagnachmittag. Sechs Kollegen bereiten sich aufs Wochenende vor. Da klopft es: Fabians Vater (Thorsten Merten) steht vor der Tür. Seinem Sohn droht, nicht zum Abitur zugelassen zu werden, weil ihm dafür ein einziger Punkt fehlt. Das will sein Erziehungsberechtigter per Geiselnahme verhindern. Mit vorgehaltenem Revolver verlangt er vom Kollegium, sofort eine Notenkonferenz abzuhalten und Fabian den fehlenden Punkt zu geben.

 

Zwölf Geschworene + Huis Clos

 

Eine Gruppe, die sich wie das Konklave der Kardinäle in einem abgeriegelten Raum um jeden Preis einigen muss, ist eine klassische Kino-Konstellation – etwa im epochalen Justizdrama „Die zwölf Geschworenen“ (1957) von Sidney Lumet. Auch im Theaterstück „Huis Clos“, dessen deutschen Titel „Geschlossene Gesellschaft“ diese Komödie persifliert, setzen die drei Protagonisten einander mit Wortgefechten zu.

Offizieller Filmtrailer


 

Die Hölle, das sind die anderen

 

Damit veranschaulichte Autor Jean-Paul Sartre 1944 die existentialistische These, dass alle Menschen in Lebenslügen und Heuchelei verstrickt sind, mit deren Enthüllung sie sich gegenseitig quälen: „Die Hölle, das sind die anderen“. Dieses Stück kennt Jan Weiler gewiss. Seit seinem Bestseller „Maria, ihm schmeckt’s nicht!“ (2003) über seine angeheiratete italienische Familie hat er schon mehrere Kinofilm-Vorlagen geliefert.

 

Als launiger Zeitgeist-Chronist mokiert er sich gern über Menschlich-Allzumenschliches, hört aber auf, wider den Stachel zu löcken, bevor es weh tut. So auch hier: Was bei Sartre ein philosophischer Befund der conditio humana war, wird in Weilers Drehbuch zur vergnüglichen Revue verzeihlicher Schwächen.

 

Alle haben Dreck am Stecken

 

Unter ungewohntem Rechtfertigungsdruck fühlen sich die Pädagogen gegenseitig auf den Zahn. Siehe da: Jeder hat etwas zu verbergen. Die blaustrümpfige Gouvernante (Anke Engelke) kann ihren Teenie-Schwarm nicht verwinden; der lässige Sportlehrer (Florian David Fitz) ist Schülerinnen zu nahe gekommen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Contra" - solide, aber wenig geistreiche Culture-Clash-Komödie im Uni-Milieu von Sönke Wortmann mit Nilam Farooq

 

und hier eine Besprechung des Films "Der Vorname" – witzige Sittenkomödie über bürgerliche Eitelkeiten von Sönke Wortmann

 

und hier einen Beitrag über den Film "Schoßgebete" – verquere Neurosen-Komödie von Sönke Wortmann nach dem Roman von Charlotte Roche

 

und hier einen Bericht über den Film "Nö"Selbstoptimierungs-Sittenkomödie von Dietrich Brüggemann.

 

Was die Referendarin (Nilam Farooq) schockiert, die mit ihm was hatte, während der steife Chemie-Lehrer (Torben Kessler) sich mit peinlichen PC-Videos begnügt. Der joviale Vertrauenslehrer (Thomas Loibl) erweist sich als Denunziant – und ausgerechnet der pedantische Latein-Pauker (Justus von Dohnànyi), der Fabian den fehlenden Punkt partout nicht gönnen will, hat anderen zu tief in die Tasche gegriffen.

 

Fabian kifft und haut ab

 

Doppelmoral zu demaskieren, gehört spätestens seit Molière zum Kerngeschäft von Sittenkomödien. Also nichts Neues im Lehrerzimmer – doch man sieht das immer wieder gern, wenn es so virtuos und elegant geschieht wie hier. Das Timing stimmt, die Pointen sind treffsicher, wechselnde Bündnisse sorgen für Spannung. Selbst Zoten – wenn etwa Anke Engelke die Ausdrücke „MILF“ und „Schoolgirls Fisting“ nicht versteht – werden charmant serviert.

 

Natürlich eskaliert irgendwann die Lage, so dass die Polizei einschreiten muss; schließlich ist Waffengewalt im Spiel. Dass Fabian von all dem Trubel um seine Person nichts mitbekommt, weil er derweil mit Kumpels einen kifft, ist ein gelungener Kontrapunkt – und dass er am Ende lieber in die Ferne abhaut, als sein Abi abzulegen, ein schöner Antiklimax.

 

Besser in die Lehre gehen?

 

Wenn der eine oder andere Oberschüler, der unter seinem Stundenplan stöhnt, sich nach dem Anschauen dafür entscheiden sollte, besser eine interessante Lehre zu machen – dann hätte sich Sönke Wortmann um die Reformierung des Schulsystems wirklich verdient gemacht.