Andreas Dresen

Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush

Rabiye Kurnaz (Meltem Kaptan) und ihr Mann Mehmet (Nazmi Kirik). Foto: Luna Zscharnt, Copyright: Pandora Film
(Kinostart: 28.4.) Politskandal-Chronik als Wohlfühl-Film: Die Affäre um den unschuldigen Guantánamo-Häftling Murat Kurnaz zeichnet Regisseur Andreas Dresen aus der Perspektive seiner Mutter Rabiye nach. Die spielt Meltem Kaptan als kalauernde Betriebsnudel; dafür bekam sie einen Silbernen Bären.

Manchmal sagt ein Preis mehr als tausend Worte. Bei der Berlinale wurde „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ mit zwei Silbernen Bären prämiert, darunter dem für die beste Hauptrolle. Er ging an die deutschtürkische Comedienne Meltem Kaptan für ihre Verkörperung der Rabiye Kurnaz, Mutter des unschuldigen Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz.

 

Info

 

Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush 

 

Regie: Andreas Dresen,

100 Min., Deutschland/ Frankreich 2022;

mit: Meltem Kaptan, Alexander Scheer, Charly Hübner

 

Website zum Film

 

Dass die füllige Kabarettistin für ihr Debüt in einem westlichen Spielfilm – zuvor hatte sie schon in türkischen Produktionen mitgewirkt – als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wird, sagt eher wenig über ihre schauspielerischen Fähigkeiten aus und mehr über den übrigen, anämisch blassen Wettbewerb. Wuchtbrumme Kaptan chargiert mit unbändiger Energie und füllt im Wortsinne die Leinwand aus, stets mit komischer Grimasse und einem kessen Spruch auf den Lippen. Das garantiert durchgängig Lacher und vermutlich einen Kassenerfolg. Aber passt es zum Thema des Films?

 

Für 3000 Dollar an US-Armee verkauft

 

Der Fall von Murnat Kurnaz ist der wohl schwerwiegendste deutsch-amerikanische Justizskandal. Im Dezember 2001 wird der 19-jährige gebürtige Bremer, türkischer Staatsbürger mit deutschem Aufenthaltsrecht, in Pakistan festgenommen und für 3000 Dollar Kopfgeld an US-Streitkräfte in Afghanistan übergeben. Die halten ihn für einen Taliban-Terroristen und verfrachten ihn ins Gefangenenlager Guantánamo. Wie Hunderte anderer Insassen wird er dort unrechtmäßig interniert – ohne Verfahren, Rechtsbeistand oder irgendeine Möglichkeit, dagegen vorzugehen.

Offizieller Filmtrailer


 

Alle bekochen + Dönekens erzählen

 

Im August 2006 wird Kurnaz endlich freigelassen. Über seine Haftzeit schreibt er das Buch „Fünf Jahre meines Lebens“, das 2012 verfilmt wird. Darin zeigt Regisseur Stefan Schaller verstörend nüchtern den Alltag seines Protagonisten in Guantánamo; inklusive Isolationshaft und Folter bei Verhören. Seine Leidensgeschichte war also schon vor zehn Jahren im Kino zu sehen. Regisseur Andreas Dresen plante ebenfalls eine Verfilmung, kam aber nach eigenen Worten damit nicht zurande: „Alle Entwürfe verloren sich in trostloser Ausweglosigkeit.“

 

Daher wechselt Dresen die Perspektive und macht aus dem Gefangenen- ein menschelndes Angehörigen-Drama. Mit der liebenden Mama, die für die Freilassung ihres Erstgeborenen alles täte, im Mittelpunkt: Nonstop darf Kaptan kalauern, alle Akteure üppig bekochen, deutschtürkische Dönekens erzählen – und in Tränen ausbrechen, wenn sie vom Schicksal ihres Sohnes berichtet. An solchen zu Herzen gehenden Szenen mangelt es nicht.

 

Kanzleramt verweigert Kurnaz-Aufnahme

 

Ansonsten geschieht nicht viel, außer Fahrten von einem Gerichtstermin oder einer Pressekonferenz zur nächsten. Alexander Scheer als trocken korrekter Anwalt Bernhard Docke erklärt seiner Mandantin zwar geduldig jeden Schritt auf ihrem langen Marsch durch die Instanzen, um Murat freizubekommen. Doch sie interessieren Rabiye Kurnaz ebenso wenig wie offenbar Regisseur Dresen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Bilanz der 72. Berlinale 2022 mit zwei Silbernen Bären für Skript und Hauptdarstellerin von "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush"

 

und hier eine Rezension des Films "Gundermann" – gelungen facettenreiches Biopic über den DDR-Liedermacher von Andreas Dresen

 

und hier eine Besprechung des Films "Als wir träumten" – stilsicheres Gruppenporträt Leipziger Teenager in der Nachwendezeit von Andreas Dresen

 

und hier einen Beitrag über die Doku "Herr Wichmann aus der dritten Reihe" über den Arbeitsalltag eines MdL-Politikers von Andreas Dresen

 

und hier einen Bericht über den Film "Halt auf freier Strecke" – ergreifendes Porträt eines Krebskranken von Andreas Dresen.

 

Obwohl er den Kern des Skandals nicht verschweigt: In einer kurzen Szene gibt der zuständige Staatsanwalt (Charly Hübner) Docke zu verstehen, dass die USA bereit wären, Murat Kurnaz an Deutschland zu überstellen, doch das Bundeskanzleramt lehne ab. Man fürchte schlechte Presse bei der „Rückkehr des Bremer Taliban“, heißt es. Kanzleramtschef war damals Frank-Walter Steinmeier, der 2005 Außenminister wurde und 2017 Bundespräsident.

 

Fixierung auf feelgood-Faktoren

 

Doch dieser Film belässt es bei Andeutungen und verfolgt die politische Fährte nicht weiter. Das verwundert bei einem Regisseur wie Andreas Dresen. Er hat mit „Herr Wichmann von der CDU“ (2003) und „Herr Wichmann aus der dritten Reihe“ (2012) zwei Dokus gedreht, die wunderbar anschaulich zeigen, wie Demokratie im Alltag funktioniert: am Beispiel eines hyperaktiven Landtagsabgeordneten, an dessen Fersen sich Dresens Team heftet.

 

Aber im neuen Film folgt der Regisseur vor allem seinem Faible für Milieubeobachtung bei kleinen Leuten: „Eine türkische Hausfrau aus Deutschland kann Steine zum Tanzen bringen.“ Diese Fixierung auf feelgood-Faktoren passt zum Zeitgeist: Während Institutionen und Entwicklungen immer komplexer werden, dampfen die Massenmedien sie auf rasch konsumierbare human-interest-Reportagen ein.

 

Silberner Bär für Skript

 

Allzumenschliches ist leichter verdaulich als Abstraktionen – und David-gegen-Goliath-Fabeln versteht jeder. Derartige Entpolitisierung der Affäre fand auch die Berlinale-Jury preiswürdig: Den zweiten Silbernen Bären erhielt Drehbuchautorin Laila Stieler für das beste Skript.