Celine Song

Past Lives – In einem anderen Leben

Hae Sung (Teo Yoo, li.) und seine emigrierte Jugendfreundin Nora (Greta Lee) teilen viele gemeinsame Erinnerungen. Foto: Copyright: © Twenty Years Rights LLC
(Kinostart: 17.8.) Wie im richtigen Leben: Seelenverwandtschaft ist nur eines der romantischen Klischees, das Regisseurin Celine Song vom Kopf auf die Füße stellt. Ihre 24 Jahre umspannende Geschichte über zwei Jugendfreunde jongliert auf unerwartet berührende Weise mit Zutaten des Romcom-Rezepts.

In Korea kann man keinen Nobelpreis gewinnen, behauptet das aufgeweckte Mädchen Nae Young, das in Zukunft Nora heißen wird. Den Namen hat sie sich selber ausgesucht, denn ihre Familie wird in Kürze nach Kanada auswandern. Ein letztes Mal geht sie in ihre alte Schule, ein letztes Mal begleitet sie ihr bester Schulfreund Hae Sung nach Hause. Vielleicht sind sie ein bisschen ineinander verliebt. Eine linkische Umarmung, ein aufgesetztes Lächeln zum Abschied, mehr trauen sich die beiden Zwölfjährigen nicht. Ob sie sich je wiedersehen werden, ist ungewiss.

 

Info

 

Past Lives – In einem anderen Leben

 

Regie: Celine Song,

106 Min., Südkorea/ USA 2023;

mit: Teo Yoo, Greta Lee, John Magaro

 

Weitere Informationen zum Film

 

Diese Unwägbarkeiten und die immerwährende Frage: „Was wäre, wenn…?“ sind die dramatischen Motoren des Spielfilmdebüts der Theaterautorin Celine Song. Die Erzählung begleitet die Protagonisten in schlaglichtartig verdichteten Alltagsszenen über eine Distanz von 24 Jahren. Als Klammer fungiert dabei eine Szene in einer Bar. Eine Frau sitzt zwischen zwei Männern und unterhält sich angeregt mit dem einen, während der andere sich bemüht, dem Gespräch zu folgen. Kommentiert wird dies von zwei unsichtbaren Beobachtern, die versuchen, die Szene zu deuten. Wie sich am Ende herausstellt, liegen sie gar nicht so falsch.

 

Inspiration aus Erlebtem

 

Was sie beobachten, ist das Wiedersehen von Nora und Hae Sung nach 24 Jahren. Der zweite, stille Mann ist Noras Ehepartner Arthur (John Magaro). Die Regisseurin, die auch das Drehbuch schrieb, hat insbesondere in diese Prologszene eigene Erlebnisse einfließen lassen. Zu ihrer Protagonistin Nora (Greta Lee) gibt es aber noch mehr Parallelen. Auch Nora lebt als Dramatikerin in New York und ist mit zwölf Jahren aus Südkorea immigriert. Für die Güte des Films sind diese Details aber nebensächlich. Was zählt, ist seine selbstverständliche Wahrhaftigkeit, die einem das Gefühl gibt, am  echten Leben teilzuhaben.

Offizieller Filmtrailer


 

Freundschaft auf Distanz

 

Das nimmt bekanntlich so gut wie nie den Verlauf einer romantischen Komödie. Dabei sind in dieser Story alle Zutaten dafür vorhanden, darunter eine klassische Struktur in drei Akten. Zwischen Abschied und Wiedersehen begegnen wir Hae Sung und Nora zwölf Jahre nach ihrer Abreise. In der Rolle des nun erwachsenen Schulfreundes kann Teo Yoo eine ganz andere Seite von sich zeigen als in Kirill Serebrennikows Filmbiografie  „Leto“ (2018), in der er den Rockmusiker Viktor Zoi verkörperte.

 

Hae Sung hat seine alte Flamme via Facebook gefunden und kontaktiert. Diese ist gerade als Autorin nach New York gezogen. Er studiert etwas mit Technik und verbringt sentimentale Stunden mit Freunden in einer Bar. Trotz der Zeitverschiebung und mehreren Tausend Kilometern Distanz gelingt es ihnen, den Faden ihrer Kindheits-Freundschaft wieder aufzunehmen. Beide sind dabei immer müde; er nach dem Aufstehen, sie vor dem Zubettgehen. Vielleicht entsteht gerade deswegen wieder intensive Intimität zwischen beiden, obwohl Noras Koreanisch etwas eingerostet ist. 

 

Verbunden durch frühere Leben

 

Dagegen haben sich ihre grundverschiedenen Ambitionen nicht geändert. Sie will immer noch hoch hinaus, er möchte „nur“ einen guten Job. Letztlich erweisen sich ihre Erwartungen wohl als zu verschieden. Weitere zwölf Jahre später besucht Hae Sung nach einer langen Funkstille New York. Wie sehr ihn dabei auch die Neugier auf Nora antreibt, bleibt offen. Doch möglicherweise motiviert ihn auch der Glaube an das in verschiedenen Zusammenhängen zitierte koreanische  „In-Yun“: die Annahme, dass das Universum Seelen wieder vereint, die bereits in früheren Leben – Past lives – miteinander verbunden waren.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Broker – Familie gesucht" – warmherzige Patchworkfamilien-Sittenkomödie aus Südkorea von Hirokazu Kore-eda

 

und hier eine Besprechung des Films "Die Frau im Nebel" – komplexer Thriller über Cherchez la femme in Südkorea von Park Chan-Wook

 

und hier einen Beitrag über den Film "Drive my Car" – Roadmovie über zarte Bande zwischen Chauffeurin + Regisseur von Ryûsuke Hamaguchi, prämiert mit Auslands-Oscar 2022

 

und hier einen Bericht über den Film "Leto" – brillanter Rückblick auf spätsowjetische Rock-Jugendkultur von Kirill Serebrennikov mit Teo Yoo.

 

Es regnet, als Hae Sung in ein New Yorker Allerweltshotel eincheckt. Erst bei ihrem ersten Zusammentreffen im Park, das die Erinnerung an ihren Abschied weckt, reißt die Wolkendecke auf wie eine meteorologische Metapher für ihre Beziehung. Was folgt, ist ein zaghaftes, dann unbeschwertes neues Kennenlernen als alte Freunde. Ihre gemeinsame Geschichte schwingt zwar mit, doch diesmal ist es Hae Song, der mehr Mut zur Veränderung zeigt. Er hat inzwischen etwas Englisch gelernt und verreist das erste Mal in seinem Leben ins Ausland.

 

Touristin in der eigenen Realität

 

Nora hingegen entdeckt ihre Stadt neu und bewegt sich dabei wie eine Touristin durchs eigene Leben. Unterstützt wird sie durch die ohnehin hervorragend geführte Kamera, die sich erst den Weg durch das dichte Grün des Parks bahnt, um dann den freien Blick auf die Stadt zu öffnen. Sie lernt auch etwas Neues über ihren Mann Arthur, einen gebürtigen New Yorker Juden, der noch nie an der Freiheitsstatue war. Trotz verständlicher Vorbehalte lässt er ihr den Freiraum, ihrer koreanischen Vergangenheit nachzuspüren.

 

Wie anders ihre Story in einer typischen romantischen Hollywood-Komödie verlaufen wäre, malen sich Nora und Arthur selbst gemeinsam auf ironisch-verspielte Weise aus … um dann wieder ins echte Leben zurückzukehren. Schließlich sitzen sie wieder in der Bar vom Anfang, kurz vor Hae Sungs Abreise. Es ist ein stummer, möglicherweise endgültiger Abschied, ein Nachhall eines anderen, vergangenen Lebens.