Dennis Stormer

Youth Topia

Ein Kalb zum Wohnungseinzug: Wanjas alte Freunde bringen zur Einweihungsparty ein tierisches Geschenk mit. Foto: UCM.one
(Kinostart: 17.8.) Schluss mit der starren Volljährigkeits-Regel: Ob jemand erwachsen wird oder dauerpubertär bleibt, entscheidet künftig die KI. Das anfangs originelle Gedankenspiel wird nach der Hälfte zum zähen Fernsehspiel – Gemeinschaft malt Regisseur Dennis Stormer als kindische Teenie-Gang aus.

Wham, bam, thank you, man! So einen fantasievoll furiosen Auftakt sieht man selten im Kino: Wanja (Lia von Blarer) und ihre vier Freunde, die in einer alten Scheune hausen, toben wie die Irren über eine Wiese. Sie sind quietschbunt kostümiert und geschminkt; irgendwas zwischen Neo-Hippie, Punk und Tekknozid. Dann bricht die wilde Horde in eine Erdgeschoss-Wohnung ein, schüttet sich Sprit rein, schnüffelt Klebstoff, grölt und randaliert, indem sie die Einrichtung zerlegt – bis der verstörte Bewohner auftaucht.

 

Info

 

Youth Topia

 

Regie: Dennis Stormer,

85 Min., Schweiz/ Deutschland;

mit: Lia von Blarer, Timon Kiefer, Nicolas Rosat

 

Weitere Informationen zum Film

 

Als digital natives filmen sie alles nonstop mit ihren Smartphones und streamen es live im Internet. Grelle Tags und Slogans ploppen auf, Emojis trudeln übers Bild, an dessen unterem Rand Chat-Kommentare der Viewer ablaufen; in den Seitenspalten werden zugleich Kürzest-Charakterisierungen der Akteure eingeblendet. Denn in der nahen Zukunft, in der dieser Film spielt, wird jedes Posting im Internet sofort von Algorithmen erfasst, verarbeitet und bewertet – social credit system in der Schweiz.

 

Alles hängt von Social-Media-Postings ab

 

Es bildet die Ausgangsidee von „Youth Topia“: Die starre Altersgrenze von 18 Jahren beim Erreichen der Volljährigkeit ist abgelöst worden durch ein flexibles, KI-gesteuertes System. Aus Social-Media-Postings berechnen Algorithmen in Echtzeit den Reifegrad und das Potential jedes Heranwachsenden – ist beides vielversprechend, wird er oder sie zum Erwachsenen mit allen Rechten und Pflichten befördert. Umgekehrt können Erwachsene, die damit verantwortungslos umgehen, wieder zu Jugendlichen degradiert werden; mit ihren Pflichten verlieren sie auch ihre Privilegien.

Offizieller Filmtrailer


 

Aus lachendem Nichtsnutz wird Miesepeter

 

Ersteres widerfährt Wanja nach einer Viertelstunde: Zwei freundliche Bürokraten bieten ihr einen Assistenten-Job in einem Architekturbüro an, den sie zunächst widerstrebend annimmt. Dagegen greift sie bei den Statussymbolen, die nun für sie verfügbar sind, sofort wollüstig zu: Sie kauft einen Sportwagen, mietet ein minimalistisches Sichtbeton-Apartment und legt beim Einzug gleich ihren Büro-Kollegen Lukas (Timon Kiefer) flach. Als Langzeitjugendliche, die sie vorher war, hatte sie seltsamerweise keine Libido – Sex ist Erwachsenen vorbehalten.

 

All diese ungeahnten Freuden müssten Wanja aufblühen lassen. Nichts da: Aus dem schnoddrig selbstbewussten Null-Bock-Nichtsnutz mit herrlich dreckiger Lache wird im Nu ein mürrischer Tropf, als wäre sie gehirngewaschen. Obwohl alles blendend für sie läuft: Lukas erweist sich als liebevoller Lover, im Büro wird sie als Newcomerin nachsichtig behandelt. Die Chef-Architektin betraut sie sogar mit dem Großprojekt, für ihre Ex-Kumpels anstelle der Scheune ein „Haus der ewigen Jugend“ zu planen. Doch Wanja schaut so miesepetrig drein wie drei Tage Regenwetter.

 

Skript + Regie denunzieren Protagonisten

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Ema" – bizarr-sinnliches Coming-of-Age-Drama einer chilenischen Tänzerin von Pablo Larraín

 

und hier eine Besprechung des Films "Toni Erdmann" - skurril eigenwillige Vater-Tochter-Tragikomödie von Maren Ade, prämiert mit sechs Deutschen Filmpreisen 2017

 

 und hier einen Bericht über den Film "Tiger Girl" – schlagkräftig improvisierte Coming-of-Age-Story von Jakob Lass

 

und hier einen Beitrag über den Film "Liebe Mich!" – charmantes Low-Budget-Beziehungsdrama unter Twentysomethings von Philipp Eichholtz.

 

Ob es daran liegt, dass ihr wurschtiger Kneipier-Vater Jochen (Nicolas Rosat) wieder zum Jugendlichen herabgestuft wird und bei ihr einzieht? Oder daran, dass ihre überdrehten Jugendfreunde zusehends als kindische Witzfiguren mit schweren ADHS-Symptomen dargestellt werden? Jedenfalls denunzieren Regisseur Dennis Stormer und seiner Ko-Skriptautoren Marisa Meier nach etwa der Hälfte nur noch ihre Protagonisten. Es wirkt, als sei dem Film der Stecker gezogen worden.

 

 

Was als originelles Gedankenspiel auf avancierter IT-Basis beginnt, mutiert zum zähen Fernsehspiel, dessen Akteure nach lastendem Schweigen bedeutungsschwangere Banalitäten aufsagen. Zwar passiert noch einiges: Wanja rechnet mit ihren Eltern ab, steckt Jochen ins Jugendheim, wird schwanger und treibt gleich wieder ab. Doch offensichtlich füllen Stormer und Meier nur auf, weil ihnen zum Grundkonflikt Digital-Infantilisierung versus Konsum-Karrierismus nichts mehr einfällt – außer ein paar Spitzen gegen rundumbetreuende Sozialfürsorge, die Bevormundung perpetuiert.

 

Regression zur Teenie-Gang

 

Da ist es nur konsequent, dass der Film in seiner Schlussszene zum anarchischen Anfang zurückkehrt. Oder eher: regrediert, denn die beschworene Gemeinschaft ist so simpel gestrickt wie eine Teenie-Gang. Die Reifeprüfung für Digital-Dystopien besteht „Youth Topia“ allerdings nicht.