Harald Pulch

Oskar Fischinger – Musik für die Augen

Werbespot für Muratti-Zigaretten (1934) von Oskar Fischinger. Foto: jip film & verleih
(Kinostart: 21.9.) Der Erfinder des Musikvideos: Oskar Fischinger tüftelte schon in den 1920er Jahren an neuen Kombinationen aus Filmbildern und Klängen. Sein wechselvolles Leben erzählt seine Witwe in der Doku von Regisseur Harald Pulch – und lüftet dabei manche Geheimnisse aus seiner Trickkiste.

Oskar Fischinger (1900-1967) gilt als Wegbereiter des Trickfilms, des Werbefilms und des Videoclips. Er arbeitete mit Fritz Lang und Walt Disney; dennoch ist sein Name heute nur noch in Cineasten-Kreisen bekannt. Auf der Suche nach Zeitzeugen der Werbefilm-Avantgarde der 1920er Jahre traf Regisseur Harald Pulch auf Fischingers Witwe Elfriede (1910-1997).

 

Info

 

Oskar Fischinger –
Musik für die Augen

 

Regie: Harald Pulch,

90 Min., Deutschland 2022;

mit: Elfriede Fischinger

 

Weitere Informationen zum Film

 

Ein ausführliches Interview, das Pulch mit ihr 1993 geführt hat, bildet digital restauriert das Rückgrat seines Dokumentarfilms. Elfriede Fischinger ist eine wortgewandte Erzählerin. Nach Jahrzehnten in den USA spricht sie immer noch druckreif Deutsch und rutscht nur manchmal beim Satzbau ins Denglisch ab oder bleibt bei einem Zungenbrecher wie „Kreutzschlitzschraubenzieher“ hängen.

 

Zigaretten laufen im Stop-Motion-Takt

 

Illustriert werden ihre Berichte von ausgewähltem Archivmaterial, klug eingesetzter Musik und natürlich Fischingers Werken. Zu den bekanntesten zählen seine Werbefilme, die er in der Weimarer Republik schuf. Als einer der ersten Spezialisten für Stop-Motion-Animation brachte er Zigaretten das Laufen im Takt bei und gab Alltagsprodukten mit abstrakten Formen einen modernistischen Anstrich.

DVD-Trailer mit Werken von Fischer © Center for Visual Music


 

Storyboards auf Millimeterpapier

 

Inspiriert vom Regie-Kollegen Walther Ruttmann und dessen „Opus 1“, aber auch von abstrakt malenden Künstlern wie Piet Mondrian und Kasimir Malewitsch bevorzugte er geometrische Formen, die sich dynamisch und synchron zur Musik durch den Bildraum bewegten – noch bevor es ein Tonfilmsystem gab.

 

Für die Synchronizität von Bild und Ton übertrug er die Klänge einer Schallplatte auf Bögen mit Millimeterpapier und trug an dieser Achse seine Storyboards ab – ein Bild pro Millimeter. Diese wurden dann im Studio mit allerlei Tricks in Filmbilder umgewandelt. Seine Gattin Elfriede, die an vielen seiner Werke mitgearbeitet hat, hat diese Bild-Partituren, Fotos und Requisiten aufbewahrt – sogar die Rakete aus dem Science-Fiction-Film „Die Frau im Mond“ (1929) von Fritz Lang.

 

Emigration 1936 ins US-Exil

 

Anhand solcher konkreter Beispiele demonstriert sie, wie ihr Mann zu Werke ging. Musik war wichtig für seine Kurzfilme, die Titel wie „Kreise“ und „Komposition in Blau“ trugen. Aber Klänge waren nicht unverzichtbar. Fischinger betrachtete seine bewegten Bilder selbst als Musik aus Licht und Schatten – Musik für die Augen. Später produzierte er in den USA auch stumme „Experiments in Colour-Rhythm“ und verbat sich dafür jede Begleitmusik.

 

Ab 1933 galt seine Kunst in Deutschland als „entartet“. Also folgten die Fischingers 1936 dem Ruf des Paramount-Studios und schifften sich nach New York ein. Bei dieser Gelegenheit schmuggelten sie auch 42 Gemälde geächteter Malerkollegen aus dem Land. In Hollywood angekommen, wurde jedoch Fischinger bei keinem der großen Filmstudios glücklich.

 

Bach-Beitrag zu Disneys „Fantasia“

 

Bei Paramount sollte er in Schwarzweiß arbeiten, obwohl er sich mit „Allegretto“ längst ins Farbfilm-System eingearbeitet hatte und das nicht mehr aufgeben wollte. Disney übernahm seine Studien zu Bachs „Toccata und Fuge“ und ließ sie in „Fantasia“ (1940) einfließen – dem dritten abendfüllenden Zeichentrickfilm und der ersten Zusammenstellung von animierten Cartoons ohne Worte, die Disney unter dem Namen „Silly Symphonies“ perfektioniert hatte. Diese kurze Kooperation ist die breiteste Spur, die Fischinger in der Populärkultur hinterließ.

 

In den Folgejahren überlebten die Fischingers als „feindliche Ausländer“ nur dank finanzieller Zuwendungen durch Freunde und Stipendien. Als das Geld für Filmexperimente nicht mehr reichte, wandte sich Fischinger der abstrakten Malerei zu und blieb ihr bis an sein Lebensende treu. In den Werken, die Elfriede präsentiert, lässt sich nachvollziehen, wie er die Dynamik und omnipräsente Rhythmik seiner Filme nun in ein einziges Bild bannte.

 

Handgezeichnete Wellen auf Film-Tonspur

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "bauhaus.film.expanded" – anschaulicher Überblick über Experimentalfilme am Bauhaus im ZKM, Karlsruhe

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Hans Richter – Begegnungen: Von Dada bis heute" – große Retrospektive des Multimediakunst-Pioniers im Martin-Gropius-Bau, Berlin

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Der Stand der Bilder" über die Video- und Medien-Pioniere Zbigniew Rybczyński + Gábor Bódy in Berlin + Karlsruhe

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Ganz großer Trick!" – anschauliche Silhouetten-Trickfilm-Schau im Museum FilmBurg, Querfurt.

 

Verdienstvollerweise überdeckt Regisseur Puchl die Erinnerungen und Geheimnisse seiner Interviewpartnerin nicht mit Zweitmeinungen und eigenen Interpretationen. So wird etwa das Wort „Synästhesie“ nie erwähnt, obwohl klar sein dürfte, dass sich Fischinger genau in diesem Zwischenbereich der Sinneswahrnehmungen bewegte. Er hörte Bilder, animierte Melodien, malte Rhythmen und war in jeder Hinsicht erfinderisch.

 

Als einer der ersten zeichnete Fischinger Wellen von Hand auf die Tonspur eines Zelluloidfilms und kreierte damit eine Art abstrakt-elektronischen Soundtrack jenseits von Musik, Sprache oder Naturgeräuschen. Hätte er sich dieses Verfahren damals patentieren lassen, mutmaßt seine Witwe, wäre danach ihr finanzielles Auskommen gesichert gewesen. Doch Fischinger dachte nicht in diesen Kategorien und überließ seine Ideen ganz selbstverständlich der Allgemeinheit.

 

„Lumigraph“ als Höhepunkt

 

Nicht minder erstaunlich ist eine weitere seiner Erfindungen. Der „Lumigraph“ ist eine Art Lichtorgel, von der Frau Fischinger ebenfalls noch ein Exemplar besitzt und vorführt – der Höhepunkt eines Films, der durch seine intelligente Montage und das Genie des Porträtierten fasziniert. Nachdem Fischingers Werke nur noch selten in Cinematheken zu sehen waren, bietet diese Doku endlich die Gelegenheit, seine wegweisenden Kurzfilme zumindest ausschnittsweise wieder auf der großen Leinwand zu bewundern.