Die zwölfjährige Sophie (Lily Bird) steht auf der Terrasse, während ihr Vater Paul (Nicolas Cage) Blätter zusammenkehrt. Ein Gegenstand stürzt vom Himmel und zerstört den Glastisch. Sophie zuckt zusammen, während ihr Vater nur müde aufschaut. Als daraufhin auch noch eine Leiche in den Pool fällt, schreit Sophie vor Angst. Paul scheint davon unbeeindruckt und beruhigt sie: „Es ist alles okay, Liebes“.
Info
Dream Scenario
Regie: Kristoffer Borgli,
102 Min., USA 2023;
mit: Nicolas Cage, Julianne Nicholson, Michael Cera
Weitere Informationen zum Film
Pauls große Chance
Eines Tages wird er von einer zwielichtigen Agentur nach New York eingeladen. Sie wird geleitet vom schmierigen Trent, wunderbar komisch gespielt von Michael Cera. Er nennt Paul die „interessanteste Person der Welt“ und will ihn für eine Werbekampagne der Limonaden-Marke Sprite gewinnen. Der von einer Midlife-Crisis geplagte Professor ist geschmeichelt. Er sieht in seiner neuen Rolle als „erster Traum-Influencer der Welt“ eine Chance, endlich einen Verlag für das Buch zu finden, das er seit Jahren schreiben will.
Offizieller Filmtrailer OV
Borglis Hammer-Horror
Das bleibt ein Wunschtraum. Denn die Dinge nehmen eine düstere Wendung, als sich Pauls passive Rolle in den Träumen der Leute in eine aktive verwandelt. Plötzlich taucht er darin als Mörder und Vergewaltiger auf und wird nun im echten Leben von allen verachtet. Als Konsequenz verliert er seinen Job. Doch während auf der Ebene der Realität weiterhin ein komödiantischer Ton herrscht, werden die Träume zunehmend schockhaft inszeniert. In diesen Szenen scheint der Regisseur und Drehbuchautor den Fokus in den Alptraum-Szenen seine Vorliebe für Horror ausleben.
Neben generischem Grusel gibt es auch Splatter-Szenen, in denen schon mal Hämmer auf Köpfe treffen. Dass das alles sehr viszeral und unmittelbar wirkt, liegt auch an Benjamin Loebs Kamera, die oft auf Kopfhöhe mit den Protagonisten verharrt, sodass man sich dem Geschehen ebenso ausgeliefert fühlt. Der Look, den Borgli den Traum-Sequenzen verpasst hat, ist von dem der Wachwelt allerdings nicht zu unterscheiden. So ist nicht immer gleich klar, wann es sich um einen Traum handelt und wann nicht. Die Wirkung ist am ehesten mit dem Kraftwort „Mindfuck“ zu beschreiben.
Verwandtschaft mit dem Debüt
Verstärkt wird dies vom minimalistischen Soundtrack des kanadischen Musikers Owen Pallett. Seine Klänge schichten sich stets in kurzer Zeit aufeinander und verschwinden nach dem Klimax abrupt in einer unheimlichen Stille. Die damit einhergehenden harschen Bildschnitte erinnern an Borglis subtiles Debüt „Sick of Myself“, das 2022 bei den Festspielen in Cannes für Aufsehen sorgte. Auch hier verknüpfte Borgli bereits Horror mit schwarzem Humor. Dabei ging es um eine junge Frau, die sich nichts mehr wünscht als Aufmerksamkeit, und die dafür alles riskiert.
Auch Paul scheint von seiner narzisstischen Persönlichkeitsstörung angetrieben und kann die Folgen bald nicht mehr kontrollieren. Und wie bei der Protagonistin in „Sick of Myself“ werden auch sein Aufstieg und Fall von den Mechanismen Sozialer Medien verstärkt. Auf diese Weise greift der Film zeitgenössische Themen auf, ohne dabei allzu didaktisch zu sein. Auf den viralen Triumph folgt die Reaktion der Cancel Culture und stellt Pauls bisheriges Leben endgültig auf den Kopf. Bald weiß auch seine bisher so zuversichtliche Ehefrau Janet (großartig: Julianne Nicholson), nicht mehr weiter.
Das Seltsame + das Gespenstische
Hintergrund
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und hier einen Beitrag über die Romanverfilmung "Der Schaum der Tage" vom Experten für Traumwelten Michel Gondry
sowie diese Kritik des weitgehend geträumten Action-Thrillers "Inception" von Christopher Nolan
Das Geniale an diesem Film ist, dass und wie er beides kombiniert. Einerseits taucht Paul seltsamerweise in fremder Menschen Träumen auf. Die Inszenierung sorgt dafür, dass das Reale nicht mehr vom Geträumten unterscheidbar ist. Andererseits bleiben die Träume stets gespenstisch, weil nie erklärt wird, warum dieser bemitleidenswerte Typ in ihnen auftaucht.
Unnötige Erfindung am Ende
Zum Schluss driftet der Film in eine etwas parodistisch wirkende, technische Selbsterklärung ab: Die Erfindung einer Maschine, die buchstäblich Träume produziert, verändert die Welt. Das wäre nicht nötig gewesen, ist aber zu verschmerzen angesichts der ausbalancierten Qualitäten des Films: Er ist durchgängig ambivalent, zugleich bedrohlich und lustig, kritisch und nicht zuletzt metaphysisch. Durch die Verflechtung von surrealen Traumsequenzen und realen gesellschaftlichen Phänomenen entsteht ein beeindruckendes, fragmentiertes Porträt der Gegenwart. Es ist dabei unvollständig genug, um zum Nachdenken anzuregen.