Sara Nodjoumi + Till Schauder

A Revolution on Canvas

Nikzad Nodjoumi fertigt ein Porträt an. Foto: © PartnerPictures
(Kinostart: 22.8.) Es bleibt in der Familie: Die Exiliranerin Sara Nodjoumi dreht mit ihrem Mann Till Schauder ein Porträt ihrer Künstler-Eltern Nicky Nodjoumi und Nahid Hagigat. Die Suche nach in Teheran verschollenen Bildern dient als Anlass für ausgiebige Selbstweihräucherung und narzisstische Nabelschau.

Wenn eine mittelmäßige PR-Agentur die Ausstellung eines zweit- bis drittklassigen Künstlers in einer unwichtigen Galerie bewerben soll, beginnt sie ihre Pressemitteilung gern mit dem Satz: „XY ist einer der bedeutendsten Künstler unserer Zeit.“ Das signalisiert dem professionellen Leser: Hier werden nur hemmungslos vollmundige Phrasen gedroschen, weitere Lektüre ist also überflüssig.

 

Info

 

A Revolution on Canvas

 

Regie: Sara Nodjoumi und Till Schauder,

95 Min., USA 2023;

mit: Nickzad “Nicky” Nodjoumi, Nahid Hagigat, Sara Nodjoumi

 

Weitere Informationen zum Film

 

Auch in „A Revolution on Canvas“ wird Nickzad „Nicky“ Nodjoumi nach fünf Minuten so überschwänglich gepriesen; von einer anonymen Stimme. Sie könnte zu einem der Kunst-Experten gehören, von denen ein halbes Dutzend Namen eingeblendet werden, ohne dass sie je zu sehen sind. Nodjoumis Ex-Gattin Nahid Hagigat wird ebenfalls hochgelobt: Ihre Druckgrafik habe „sich früher als irgendjemand sonst mit iranischen Frauen beschäftigt“. Das behauptet Linda Komaroff, Kuratorin für islamische Kunst am Los Angeles County Museum of Art.

 

Kaum Spuren in der übrigen Welt

 

Diese Superlative sollen vermitteln: Beide Hauptpersonen sind richtig wichtig. Was die Welt außerhalb des Films offenbar anders sieht, denn in der haben sie kaum Spuren hinterlassen. Während heutzutage jeder ambitionierte Künstler umfangreiche Portfolio-Websites erstellt, sind ihnen nur kurze und dürftige Wikipedia-Einträge gewidmet. Zudem finden sich in der Künstler-Datenbank „artnet“ ein paar Thumbnails von Nodjoumis Gemälden und eine Liste von Hagigats Ausstellungen in nachrangigen Institutionen.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Wo war Bussi-Bussi-Vernissage?

 

Ihre Stellung im Kunstbetrieb beleuchtet diese Doku ebensowenig. Wird etwa eine Vernissage mit viel Bussi-Bussi und Schulterklopfen gezeigt, bleibt unerwähnt, wo und wann diese Einzelausstellung von Nicky Nodjoumi stattfand (2016 in der Taymour Grahne Gallery, Brooklyn). Dass seine Tochter Sara Nodjoumi solche Details souverän ignoriert, erklärt sich leicht: Für die exiliranische Filmemacherin und ihren deutschamerikanischen Ehemann, Ko-Regisseur, Ko-Produzenten und Kameramann Till Schauder sind ihre (Schwieger-) Eltern sowieso die Größten.

 

So dient deren künstlerische Tätigkeit nur als Vorwand, um ausführlich die Familiengeschichte aufzurollen: mit gefühlt Hunderten von Schnappschüssen aus privaten Fotoalben und sattsam bekannten Archiv-TV-Bildern aus dem Iran über die Zeit vor und nach dem Sturz des Schahs 1979. Dabei lässt sich die Nodjoumi-Story in wenigen Sätzen zusammenfassen.

 

Domina peitscht Turbanträger

 

Während ihres Kunststudiums in den USA lernten sich Nahid und Nicky kennen und lieben. Als die Islamische Revolution nahte, kehrte er in den Iran zurück, agitierte und protestierte mit linken Zirkeln – und wurde prompt von Schergen des neuen Mullah-Regimes verfolgt. Eine Einzelausstellung seiner Werke 1980 im „Teheran Museum für zeitgenössische Kunst“ musste wegen Hetze in der Presse nach wenigen Tagen schließen. Nicky floh zurück in die USA.

 

Dort malt er seither mit großformatigen Bildern gegen die Mullahs an. Handwerklich versiert zwischen Sozialistischem Realismus und facettiert gebrochener Cartoon-Ästhetik, inhaltlich mit eher schlichten Botschaften – da peitscht etwa eine Domina auf einen Turbanträger ein, der sich am Boden windet. Nahid Hagigats Grafik vertraut gleichfalls auf geläufige Agitprop-Bildformeln; wie Frauen, die gemeinsam eine MG hochhalten.

 

Bekenntnisfreude wie im Trash-TV

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Irdische Verse" über die kafkaesken Seiten des iranischen Alltags von Ali Asgari und Alireza Khatami

 

und hier eine Besprechung des Films "Leere Netze"düsteres Kaviarfischer-Drama am Kaspischen Meer von Behrooz Karamizade

 

und hier einen Beitrag über den Film "Sun Children" – facettenreiche Milieustudie über Straßenkinder in Teheran von Majid Majidi

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Shirin Neshat - Living in one land, dreaming in another" mit Porträt-Fotoserien + Videos der exiliranischen Künstlerin in der Pinakothek der Moderne, München.

 

Rund 100 von Nickys Werken sollen im Depot des Teheraner Museums lagern; er musste sie bei seiner Flucht vor 43 Jahren zurücklassen. Nun will Tochter Sara unbedingt über Mittelsmänner an sie herankommen. Ein mühseliges Unterfangen; selbst der Ex-Direktor des Museums, der mittlerweile in den USA lebt, ist keine Hilfe. Schließlich dürfen Saras Vertrauensleute in Teheran im Museumskeller ein paar Arbeiten fotografieren; sie ähneln Nickys US-Œuvre sehr.

 

Doch die unergiebige Bildersuche bildet nur den Aufhänger, um alle Familienmitglieder vor die Kamera zu holen, bis hin zu Enkeln im Grundschulalter. Der introvertierte Vater Nicky ist davon am wenigsten angetan, alle anderen machen freudig mit. Ex-Gattin Nahid verbreitet sich wortreich über die Gründe für ihre Scheidung, ihre burschikose und etwas hemdsärmelige Tochter Sara hört tränenselig zu. Solche Bekenntnisfreude erinnert an den emotionalen Exhibitionismus in Trash-TV-Talkshows.

 

Alle Windungen von Vita + Seelenleben

 

In der Glotze versendet sich das, aber wer will derlei in Kinos sehen, zumal in deutschen? Natürlich speist sich jede künstlerische Tätigkeit auch aus Momenten der eigenen Biographie, aber dieses Machwerk ist bezeichnend für die zunehmende Tendenz, Kunst auf narzisstische Selbstdarstellung zu reduzieren. Als müsste sich das Publikum für alle Windungen von Vita und Seelenleben des Schöpfers genauso interessieren wie er oder sie selbst. Dringender als eine „Revolution auf der Leinwand“, die der Titel verspricht, bräuchten wir eine Revolution der Förderungs- und Verleih-Strukturen im Autorenfilmbereich.