Wenn eine mittelmäßige PR-Agentur die Ausstellung eines zweit- bis drittklassigen Künstlers in einer unwichtigen Galerie bewerben soll, beginnt sie ihre Pressemitteilung gern mit dem Satz: „XY ist einer der bedeutendsten Künstler unserer Zeit.“ Das signalisiert dem professionellen Leser: Hier werden nur hemmungslos vollmundige Phrasen gedroschen, weitere Lektüre ist also überflüssig.
Info
A Revolution on Canvas
Regie: Sara Nodjoumi und Till Schauder,
95 Min., USA 2023;
mit: Nickzad “Nicky” Nodjoumi, Nahid Hagigat, Sara Nodjoumi
Weitere Informationen zum Film
Kaum Spuren in der übrigen Welt
Diese Superlative sollen vermitteln: Beide Hauptpersonen sind richtig wichtig. Was die Welt außerhalb des Films offenbar anders sieht, denn in der haben sie kaum Spuren hinterlassen. Während heutzutage jeder ambitionierte Künstler umfangreiche Portfolio-Websites erstellt, sind ihnen nur kurze und dürftige Wikipedia-Einträge gewidmet. Zudem finden sich in der Künstler-Datenbank „artnet“ ein paar Thumbnails von Nodjoumis Gemälden und eine Liste von Hagigats Ausstellungen in nachrangigen Institutionen.
Offizieller Filmtrailer OmU
Wo war Bussi-Bussi-Vernissage?
Ihre Stellung im Kunstbetrieb beleuchtet diese Doku ebensowenig. Wird etwa eine Vernissage mit viel Bussi-Bussi und Schulterklopfen gezeigt, bleibt unerwähnt, wo und wann diese Einzelausstellung von Nicky Nodjoumi stattfand (2016 in der Taymour Grahne Gallery, Brooklyn). Dass seine Tochter Sara Nodjoumi solche Details souverän ignoriert, erklärt sich leicht: Für die exiliranische Filmemacherin und ihren deutschamerikanischen Ehemann, Ko-Regisseur, Ko-Produzenten und Kameramann Till Schauder sind ihre (Schwieger-) Eltern sowieso die Größten.
So dient deren künstlerische Tätigkeit nur als Vorwand, um ausführlich die Familiengeschichte aufzurollen: mit gefühlt Hunderten von Schnappschüssen aus privaten Fotoalben und sattsam bekannten Archiv-TV-Bildern aus dem Iran über die Zeit vor und nach dem Sturz des Schahs 1979. Dabei lässt sich die Nodjoumi-Story in wenigen Sätzen zusammenfassen.
Domina peitscht Turbanträger
Während ihres Kunststudiums in den USA lernten sich Nahid und Nicky kennen und lieben. Als die Islamische Revolution nahte, kehrte er in den Iran zurück, agitierte und protestierte mit linken Zirkeln – und wurde prompt von Schergen des neuen Mullah-Regimes verfolgt. Eine Einzelausstellung seiner Werke 1980 im „Teheran Museum für zeitgenössische Kunst“ musste wegen Hetze in der Presse nach wenigen Tagen schließen. Nicky floh zurück in die USA.
Dort malt er seither mit großformatigen Bildern gegen die Mullahs an. Handwerklich versiert zwischen Sozialistischem Realismus und facettiert gebrochener Cartoon-Ästhetik, inhaltlich mit eher schlichten Botschaften – da peitscht etwa eine Domina auf einen Turbanträger ein, der sich am Boden windet. Nahid Hagigats Grafik vertraut gleichfalls auf geläufige Agitprop-Bildformeln; wie Frauen, die gemeinsam eine MG hochhalten.
Bekenntnisfreude wie im Trash-TV
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Irdische Verse" über die kafkaesken Seiten des iranischen Alltags von Ali Asgari und Alireza Khatami
und hier eine Besprechung des Films "Leere Netze" – düsteres Kaviarfischer-Drama am Kaspischen Meer von Behrooz Karamizade
und hier einen Beitrag über den Film "Sun Children" – facettenreiche Milieustudie über Straßenkinder in Teheran von Majid Majidi
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Shirin Neshat - Living in one land, dreaming in another" mit Porträt-Fotoserien + Videos der exiliranischen Künstlerin in der Pinakothek der Moderne, München.
Doch die unergiebige Bildersuche bildet nur den Aufhänger, um alle Familienmitglieder vor die Kamera zu holen, bis hin zu Enkeln im Grundschulalter. Der introvertierte Vater Nicky ist davon am wenigsten angetan, alle anderen machen freudig mit. Ex-Gattin Nahid verbreitet sich wortreich über die Gründe für ihre Scheidung, ihre burschikose und etwas hemdsärmelige Tochter Sara hört tränenselig zu. Solche Bekenntnisfreude erinnert an den emotionalen Exhibitionismus in Trash-TV-Talkshows.
Alle Windungen von Vita + Seelenleben
In der Glotze versendet sich das, aber wer will derlei in Kinos sehen, zumal in deutschen? Natürlich speist sich jede künstlerische Tätigkeit auch aus Momenten der eigenen Biographie, aber dieses Machwerk ist bezeichnend für die zunehmende Tendenz, Kunst auf narzisstische Selbstdarstellung zu reduzieren. Als müsste sich das Publikum für alle Windungen von Vita und Seelenleben des Schöpfers genauso interessieren wie er oder sie selbst. Dringender als eine „Revolution auf der Leinwand“, die der Titel verspricht, bräuchten wir eine Revolution der Förderungs- und Verleih-Strukturen im Autorenfilmbereich.